Die Versteigerung der Haarlaß-Gerberei

Der aus Alzey stammende Johann Beck pachtete ab 1776 den Haarlaß, der bis dahin eine Gastwirtschaft war. Er beabsichtigte, darin eine „Lütticher Sohlleder fabrique und holländische rohe Häute Handlung“ zu betreiben und erhielt das Privileg dafür. Um die zur Lederbearbeitung benötigte Lohe aus zermahlener Eichenrinde herstellen zu können, erwarb er einen Mühlplatz neben der 1752 erstmals erwähnten Weißmühle (Getreidemühle) am Rainweg (Nr. 86). Beck baute das linke der beiden großen historischen Gebäude des Haarlaß, das Gerbhaus. 1778 pflanzte er auf dem Gelände des Haarlaß Maulbeerbäume zur Seidenraupenzucht an.

Eine zeitgenössische Darstellung der Gebäude des Haarlaß – in der Bildmitte; im Vordergrund die Stiftsmühle
Johann Jakob Rieger, Stift Neuburg, 1791, Ausschnit (unten das gesamte Bild)

1793 stand die Sohlleder Fabrique zur Versteigerung. Interessant ist die Anzeige dazu, die in der Kurfürstlich gnädigst privilegirten Münchner-Zeitung 1793 wiederholt zu lesen war (damals bestand das Kurfürstentum Kurpfalz-Bayern mit der Hauptstadt München). Sie gibt uns Einblick in den damaligen Gebäude- und Güterbestand des Haarlaß und verschafft einen Eindruck vom Umfang der Gerberei:

„Die Lederfabrik des Titl. Joh. Bek zwischen Neuenheim und Ziegelhausen oder der Heidelberger Brüke im Thale liegend, wird mit allen Zugehören, Rechten und Gerechtsamen, wie auch ein ansehnlicher in den Küfen sich noch befindender und zum Ausziehen und Trocknen geeigneter Vorrath an Leder, aufgespeicherten Eichenrinden und Loh den 27sten künftigen Monats Junius nach Mittag um 2 Uhr auf dem sogenannten Haarlasse, welches der eigene Name der Fabrik ist, in öffentliche Versteigerung gebracht, die Bestandstheile davon sind folgende :
1) Ein Gerbhaus; dieses enthaltet unten ein Magazin mit einer großen Bodelatsche, 24 steinene Farben- und Weichkästen, 4 steinene Brunnenstöke mit meßingenen Kranen, unter allen Farben- und Weichkästen sind Ablaufkanäle angebracht; in dem zweiten Stoke sind 4 Wohnungen und 1 geräumiger Speicher.
2) Ein Trockenhaus, worunter 2 gewölbte Schwizen und darüber eine Lohkammer sich befinden; es enthaltet ferner 2 Trockenspeicher über einander und noch eine besondere große Lohkammer, 24 holzene Gruben, und unter 8 derselben ist ein Ablaufkanal.
3) Ein Rindenhaus; dieses hat 1 Keller, so groß es ist, und dessen ganzes Innere ist zu Aufbewahrung der Rinden angelegt.
4) In dem Hofe sind 46 holzene Gruben, ein dazu erforderlicher Brunnen und Ablaufkanäle, dann die dieser Gerberei angemessenen mit Ziegeln und Schifersteinen gedeckte Lohkäsrahmen.
5) Eine Lohmühle, welche unweit des Haarlasses ober Ziegelhausen liegend, ist; sie hat einen geräumigen Mühlplatz, Lohgang, eine Remise, geräumige Wohnung und einen schönen Speicher.
6) Die zur Gerberei und Lohmühle gehörigen sich in gutem Stand befindende Geräthschaften.
7) Ein Wohnhaus auf dem Haarlasse; dieses hat im untern Stoke 4 Zimmer, 2 Alköfen, 1 geräumige Küche und darunter 1 Keller; im zweiten Stoke hat es 8 Zimmer und auf dem Speicher 3 Kammern. Vor diesem Wohnhause und zur Seite gegen Ziegelhausen sind verschiedene sehr fruchtbare und wohlgehaltene Pflanz- und Baumgärten angelegt; Hinter demselben befinden sich die erfoderlichen Pferd- Rindvieh- und sonstige Stallungen.
8) Auf beiden Seiten der Fabrik, des Wohnhauses und hinten sind die dazu gehörigen Aeker und Wiesenstüke, welche ungefähr 6 Morgen enthalten, und sehr erträglich sind.
Die angenehme und zugleich zu Treibung eines großen Handels schickliste Lage, die regelmäßige Eintheilung in sämmlichen Gebäuden, derselben Reinlich- und Dauerhaftigkeit, die Bequemlichkeit mit wenigen Arbeitern eine ausgebreitete Gerberei zu treiben, die ein solches Gewerb begünstigenden Freiheiten werden ohne Zweifel Steiglust erweken. Die Liebhaber, welche inzwischen mehrere Erkundigung einholen und Einsicht nehmen wollen, können sich desfalls dahier melden.      
Heidelberg am 29sten Mai 1793.
Kurpfälzisches Oberamt.“

Das Gerbhaus ist das linke, das Wohnhaus, 1737 durch die Jesuiten erbaut, das rechte der beiden großen historischen Gebäude des Haarlaß. Leider wurden etliche neue, historisierende, mit modernen Elementen versehene Gebäude zwischen den geschützten historischen Gebäudebestand hineingebaut, so dass die ursprüngliche Gesamtansicht bedeutend beeinträchtigt ist.

Gesteigert wurde der Haarlaß nebst Lohmühle vom Frankenthaler Hofkammerrat und Fabrikanten Johann Jakob Speyerer, der in Frankenthal eine Wollenzeug-Manufactur mit Wollenfärberey mit über tausend Beschäftigten betrieb. Später übernahm sein Sohn Jakob Wilhelm Speyerer (1789-1876) die Lederfabrik und Mühle. Er war Bürgermeister von Heidelberg und badischer Landtagsabgeordneter. Bis 1891 blieben Gerberei und Mühle im Besitz der Familie Speyerer.

Glossar

  • Kufe, pl. Küfe – großes und weites hölzernes Gefäß, welches oben offen ist, wie es zum Gerben verwendet wird
  • Bodelatsche – größeres Becken
  • Schwitze (Schwitzkammer) – Kammer, in der die für Sohlleder vorgesehenen Häute in warmer, feuchter Luft aufgehängt werden, um sie zu enthaaren
  • Lohkäsrahmen – Rahmen, auf denen der Lohkäs getrocknet wird; der Lohkäs ist der Rückstand der gemahlenen Eichenrinde nach dem Gerbvorgang; er wurde in Formen gepreßt, getrocknet und diente als Brennmaterial
  • Steiglust – Lust zu steigern
  • Bei Nr. 5) handelt es sich natürlich um die Lohmühle Rainweg 86

Tobias Städtler in: Stadtteilrundschau Ziegelhausen und Peterstal, 45. Jg. Heft 14, 20. Juli 2016 (ohne Bilder)

[Abbildung wird noch eingefügt]

Kurfürstlich gnädigst privilegirte Münchner-Zeitung 1793, S. 526 f
Digitalisat Bayerische Staatsbibliothek (Kein Urheberrechtsschutz – nur nicht kommerzielle Nutzung erlaubt)
Permalink zum gesamten Dokument: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10505697-0

Kloster Neuburg bey Ziegelhausen, der Neckerfluß; von der Morgenseite aufgenommen und gestochen von J. Rieger · Mannheim 1791
Universitätsbibliothek Heidelberg, Graphische Sammlung A_0133, Lizenz CC-BY-SA-4.0, Permalink