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Brahms in Ziegelhausen, Neue Musikzeitung 1916

Der Bericht des Heidelberger und Mannheimer Kapellmeisters Karl Eberts über den Aufenthalt von Johannes Brahms in Ziegelhausen in der Neuen Musikzeitung 37, 1916, S. 30-32, wird viel zitiert. Warum aber soll man nur immer wieder Auszüge daraus aus zweiter Hand lesen. Der Text ist, wenn auch online vorhanden, nur umständlich aufzufinden. Das Urheberrecht ist längst erloschen. Daher stelle ich den Text hier her, damit er im Original und in voller Länge zu lesen ist. Immerhin hat Eberts in Ziegelhausen vor Ort nachgeforscht und konnte noch mit Zeitzeugen sprechen. Außerdem zeigt er das meines Wissens bis heute einzige erhaltene Bild des Brahmshauses.

Joh. Brahms in Ziegelhausen.

Von KARL EBERTS (Heidelberg).

Des Meisters Aufenthalt in Ziegelhausen während der Sommermonate des Jahres 1875, also vor genau vier Jahrzehnten, pflegt im allgemeinen nur episodische Bedeutung beigemessen zu werden. Gewiß, das Wäschedorf am Neckar, der jetzige „Luftkurort“ Ziegelhausen, war kein Kehrreim in der Strophenreihe von Brahmsens Lieblingsplätzen, und nur kurz ist hier und da zu lesen, daß auf seine zweite Wiener Tätigkeit ein Sommer „in der Nähe von Heidelberg” gefolgt ist.

Ganz selten haben auch Einzelpublikationen auf diese musikalischen Beziehungen Ziegelhausens hingewiesen. Der Straßburger Schriftleiter Schede und der frühere Heidelberger Universitätslehrer Koch benützten sie indes bereits vor Jahren als Feuilletonstoff, und auf den Ausführungen des letzteren ruht im wesentlichen das, was Kalbeck über den Sommer 1875 mitzuteilen weiß. Auch W. A. Thomas-San-Galli spricht sich in seiner 1912 erschienenen Brahms-Biographie sehr umfassend über Ziegelhausen aus, doch ist auffallend, daß sich unter dem überaus reichen Bildschmuck weder dieses, noch des gleichzeitig bei Schuster & Löffler erschienenen Brahms-Werkes eine Aufnahme vom Brahms-Hause am Neckar befindet, obgleich der Meister sich gerade über die Ziegelhäuser Tage stets nur in freudigster Begeisterung vernehmen ließ. Im übrigen glaube ich aus guten Gründen annehmen zu dürfen, daß die Ansicht des Hauses, die in Begleitung dieser Zeilen in der „N. M.-Z.“ erscheint, das erste veröffentlichte Bild des nunmehrigen Jubilars darstellt.

Wer über die neue Brücke von dem Heidelberger Stadtteil Schlierbach kommend in Ziegelhausen seinen Einzug hält, wird das Haus nur mit einiger Mühe zwischen dem Postamte und der katholischen Kirche im Hintergrund eines Gartens liegend auffinden. Einstmals bildete es den Mittelpunkt und das Herrenhaus eines großen Ziegeleikomplexes, später bewohnte es der Porträtmaler Hanno, bei dem sich Brahms einmietete. In dem großen, fünffenstrigen Frontzimmer fand der von der Heidelberger Pianofortefabrik Gebr. Trau gelieferte Flügel neben den sonstigen, zum Teil noch heute vorhandenen Mobiliarstücken seine Aufstellung; ein kleines Vorzimmer, gleichfalls mit Porträtskizzen aus dem Atelier des Hausherrn geschmückt, diente zum Empfang offizieller Besuche, und mit ihrem nach drei Himmelsrichtungen ungehemmten Blick über den (jetzt leider parzellierten und größtenteils auch bebauten) Garten hinweg in das unermeßliche Grün der Odenwaldbergkette bildete die Wohnung eine „Komponierhöhle“, wie sie so recht für die Neigung des damals 42Jährigen Brahms geschaffen schien. „Ich wohne und lebe allerliebst, letzteres nur gar zu sehr,“ heißt es in einem seiner Briefe, und immer wieder geht vom Neckar aus an die Freunde und Bekannten die Einladung hinaus, ja nach Ziegelhausen zu kommen und diesen Fleck Erde kennen zu lernen.

Brahms selbst kannte Heidelberg ja von früheren Jahren. Nach Robert Schumanns Beerdigung hatte es als Treffpunkt mit Joachim gedient, Vater Brahms mußte vor einer Schweizer Reise in der Requiemzeit das Heidelberger Schloß besichtigen, und von Baden-Baden und Karlsruhe aus bildete die Musenstadt am Neckar, allwo sich später einmal ein Konzert des Meisters unter für die Veranstalter nicht sehr ehrenvollen Umständen zerschlagen, haben soll, oft die Gelegenheit zu kürzeren Abstechern. Im Jahre 1875 war es Anselm Feuerbach, der Brahms veranlaßte, an den Neckar zu übersiedeln. Die beiden Freunde hatten sich in München getroffen, und alsbald meldete Feuerbach seiner in Heidelberg lebenden Mutter; „Brahms kommt.“ Natürlich ließ sich Brahms nicht in der Stadt festhalten. Die ländliche Stille an der wohlig-weichen Biegung des Neckars bei Ziegelhausen lockte ihn, und wenngleich hier die Geburtsstätte zweier der letzten Quartette (op. 60, c moll, op. 67, B dur), einer Anzahl Duette (op. 66) und Lieder („Abendregen“) gesucht werden muß, wenngleich hier in den Vormittagsstunden, in denen der Meister beim Genusse kleinerer Schlücke von starkem Kaffee emsig arbeitete, wohl noch weitere Skizzen zur ersten Symphonie entstanden sein mögen, jedenfalls übten die ungebundenen, heiteren, an Anregungen aus der Natur und aus Freundeskreisen so reichen Sommertage in ZiegeIhausen ihren erquickendsten Einfluß auch auf den M e n s c h e n Brahms aus, der manche unerfreuliche Erinnerungen an Wien und an den Gegenspieler Herbeck überwinden mußte. Was ich in den Häusern Hanno und Völker, wo Brahms ein regelmäßiger Gast war, über den Meister und sein Wesen in liebenswürdiger Weise mitgeteilt bekam, sind denn auch vorzugsweise Ergänzungen zu dem in seiner aufrechtesten Ehrlichkeit und in seiner rührend schlichten Größe bekannten Kapitel von Brahms dem Menschen und Freunde.

Hier hört man von dem Interesse, das der Musiker der klavierspielenden Tochter entgegenbringt, nicht ohne auch eindringlich auf die für Frauen nicht minder wichtige Betätigung des Strumpfstrickens hinzuweisen. Neben manchen rührenden Zügen, die wie das wiederholt aus dem Anblick von hauswirtschaftlichen Vorgängen heraus erwachende Gedenken an die Mutter im Völkerschen, jetzt Eggenolfschen Hause in treuer Erinnerung festgehalten werden, treten Episoden von zwingender Heiterkeit. Ursprünglich wollte Brahms in der Pension Völker absteigen. Er besah sich die Zimmer zur großen Freude der Besitzerin, die es sich nicht nehmen ließ, darauf hinzuweisen, eine wie große Ehre es sich die gleichfalls im Hause wohnende Frau Geheimrat X. oder die Frau Sanitätsrat Y. daraus machen würde, mit dein Meister verkehren zu dürfen. Ein gedehntes „So“ war die Antwort des Besuchers, der nun schleunigst den Neckar zwischen sich und die verschiedenen Rätlichkeiten zu bringen für nicht minder rätlich hielt.

Bei Völker war es auch, wo begeisterte Heidelberger Studenten die Reste einer von Brahms angesetzten Bowle austranken und sich mit einem Gedicht revanchierten, bei dem sich „Musensöhne“ auf „Meister der Töne“ und sonstige eherne Notwendigkeiten zur großen Erheiterung des Komponisten auf das glätteste gereimt haben sollen. Weniger Freude hätten nach der Rückkehr die übrigen Teilnehmer der Bowle empfunden, die inzwischen buchstäblich zur Tinte geworden war.

Im Hannoschen Hause weiß man noch von den zahlreichen in- und ausländischen Fremden zu berichten, die sich Brahms „ansehen“ wollten und die meist mit einer langsamen und tiefen Verbeugung recht schnell abgetan waren, aber auch von dem Meister willkommenen Besuchern, zu denen die Familie Feuerbach, Herr und Frau Dessof, die Brüder Steinbach, der Verleger N. Simrock, der nach dem alten Fremdenbuch im Hotel Adler abgestiegen war, und der Mannheimer Hofkapellmeister Franck gehörten, der Brahms in Mannheim mit Götzens „Widerspenstiger“ und — mit zwei „allerliebsten“ Sängerinnen des Hoftheaters bekannt machte, in denen man wohl die Patinnen der Ziegelhäuser Duette zu vermuten hat. Diese „Klänge“ dürften bei gemeinsamen Kahnfahrten auf den „mit sanfter Stimme sprechenden und freundlich blickenden Wellen“ des Neckars die erste öffentliche Aufführung vor einer ahnungslosen Zuhörerschaft erlebt haben. Der liebste Besuch erschien Mitte Juli bei Brahms in Ziegelhausen. Es war Klara Schumann, die, wie auch Bertold Litzmann berichtet, auf einer Reise von Kiel nach Klosters im Hannoschen Hause, wo Brahms „ganz im Grünen eingeschlossen, still und sehr ländlich“ wohne, einkehrte. „Mit herzlichem Behagen,“ schreibt sie dann von Klosters, „denke ich an unseren schönen gemeinsamen Nachmittag. Deine Musik hat meine Seele wahrhaft erfrischt. Ueber das Quartett habe ich noch viel gedacht . . .“ Man wird sich hiernach schon vorstellen können, wie willkommen an diesem Tage der in der Nähe Ziegelhausens wohnende Freiherr v. B.1 gewesen sein mag, der just während des gemeinsamen Musizierens Herrn Brahms seine Aufwartung machte.

Natürlich ist Brahms auch in Ziegelhausen seiner Lieblingsbeschäftigung, in Feld und Wald herumzustreifen, treu geblieben. Das idyllische Bärenbachtal mit seinen geschmeidigen Wiesen und der höher gelegene Tanzplatz waren die Lieblingsziele des Meisters, der manchmal zu seiner Ablenkung auch Dorfjugend mitnahm und sich mit kleinen Geschenken rasch so populär gemacht hatte, daß er sich eines Tages scherzhaft „reif für den Ziegelhäuser Gemeinderat“ nennen konnte. Ein Bild von Brahms jener Tage, das ihn, rechts gescheitelt, mit lang herabhängendem Haare, der geradezu herb gereiften Mundbildung und bartlos, nur mit den Ansätzen eines Schnurrbartes zeigt, hat soeben bei einigen älteren Einwohnern der Gemeinde — freilich ausschließlich Frauen —, denen ich es zeigte, ein freudiges Aufleuchten alter Erinnerungen hervorgerufen. „Ja, das ist der Herr Brahms.“ lachen sie, und die Köchin im Adler, die nach langen Irrfahrten seit einem Monat in diesem, jedem alten Heidelberger Studenten wohlbekannten Gasthofe, dem Tummelplatz ihrer Mädchenjahre, jetzt unter dem aktuellen Namen die „dicke Berta“2 das Kriegsmehl verarbeitet, nützt gerne die Gelegenheit, von den großen Sechseierpfannenkuchen zu erzählen, für die sich Herr Brahms dann auf ihr besonderes Bitten oft mit einem Walzer bedankt hätte. „Und wenn er spielte,“ sagt die Berta, „het mer kei‘ Händ‘ g’sehe . . .“

In Ziegelhausen selbst ist das Brahms-Haus als solches wenig bekannt. Doch ist es mir gelungen, beim Bürgermeister des Ortes, Herrn Runz, sowie bei dem Vorstande des Verschönerungsvereines, Herrn Hauptlehrer Bahr, einem alten Musikfreunde und selbst ausübendem Musiker, Interesse zu erwecken für die Anbringung einer einfachen G e d e n k t a f e l. Der Plan, dem nach Beendigung des Krieges näher getreten werden soll, könnte inzwischen durch werktätige Mitarbeit in den Reihen der Brahms-Freunde nur gefördert werden.

  1. Franz Jacob Alfred Freiherr von Bernus (1808–1884), wohnte auf Stift Neuburg (Anm. d. Red.) ↩︎
  2. Der Formulierung nach ist wohl „die Dicke Berta“ gemeint, auf Hochdeutsch Berta Dick. Dies wurde vermutlich beim Abdruck des Artikels als vermeintlicher Fehler geändert. (Anm. d. Red.) ↩︎

150 Jahre Brahms in Ziegelhausen

Vom 20. Mai bis Mitte September 1875 weilte Johannes Brahms in Ziegelhausen. „Ich wohne und lebe allerliebst, letzteres nur gar zu sehr“ – so wohl fühlte sich Brahms hier bei uns in Ziegelhausen. Bekanntlich wohnte er im Hause des Malers und Kammersängers Anton Hanno und seiner Frau, das der katholischen Laurentiuskirche östlich benachbart stand. Zum 50-jährigen Jubiläum des Aufenthaltes 1925 wurde das Haus – leider nicht zum Museum gestaltet, sondern abgerissen. Die Tochter Hannos hatte noch alle Möbel der Brahmsstube an ihrer Stelle stehen lassen, auch das Tafelklavier war dabei. Leider kam es dann aber zu einem Besitzerwechsel. Das Haus stand weiter zurück als das heutige und davor lag ein schöner, ruhiger Garten mit altem Baumbestand. Dort traf man ihn „hemdärmelig, im leichtesten Gewand, auf einer Lattenbank sitzend, von einem dutzend schöner Tauben umschwärmt“ an.

Johannes Brahms, etwa 1875

Johannes Brahms (* 7. Mai 1833 in Hamburg; † 3. April 1897 in Wien) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Komponisten. Er ist ein Vertreter der Hochromantik. Ziegelhausen hatte er als Sommeraufenthalt ausgewählt, weil er auf seinen ausgedehnten Waldspaziergängen die besten Ideen für seine Kompositionen hatte. Eltville war auch in der engeren Wahl, aber: „Ich fürchte nur, wo der Wein so gut wird, entbehrt der Mensch des Schattens und erinnere nicht, daß hinter Eltville bald ein Wald sich findet.“ Außerdem war Heidelberg schnell zu erreichen, wo sich im Musiksalon von Henriette Feuerbach viele Künstler trafen und wo der Klavierbauer Johann Baptist Trau Klavierabende veranstaltete. Auch in die Oper im Nationaltheater in Mannheim ging er. In Ziegelhausen besuchten ihn zahlreiche seiner Freunde und Bekannten. „Heute waren Levi [Hofkapellmeister Mannheim, Karlsruhe, München] und Dessoff [Hofkapellmeister Karlsruhe] da, den Abend kommt Frank [Hofkapellmeister Mannheim], morgen zwei allerliebste Sängerinnen aus Mannheim – kurz es wird nur zu lustig gelebt.“ (aus einem Brief)

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150 Jahre Brahms in Ziegelhausen