
Eine Oper von Brahms? …fragen Sie sich vielleicht – die kenne ich nicht. Brahms hat auch keine Oper geschrieben. Aber er hatte es vor. Zunächst schien El secreto a voces, Das offene Geheimnis, des spanischen Dichters Pedro Calderón de la Barca (1600 – 1681) eine geeignetes Thema zu sein. 1869 bat Brahms in Karlsruhe den eng befreundeten Fotografen und Kupferstecher Julius Allgeyer, die Übersetzung des Werkes zu einen Opernlibretto umzugestalten. Allgeyer schuf das Libretto, Brahms dennoch keine Oper. 1871 erhielt er aus seinem Freundeskreis zwei Operntextentwürfe, von der Karlsruher Schriftstellerin Anna Ettlinger zur Sage der Melusine und nach dessen Ablehnung vom Karlsruher Pfarrer Emil Zittel, einem Vertreter des protestantischen Liberalismus, über das alttestamentliche Hohelied. Beide Texte hatte der mit Brahms eng befreundete Hofkapellmeister Hermann Levi vermittelt. Er hätte sehr gern eine Oper von Brahms dirigiert und zeigte großen Einsatz, ihm zu einem Libretto zu verhelfen. Im Jahre 1873 wählte Brahms Tutzing am Starnberger See zu seinem Sommer-Arbeitsaufenthalt. Dort wollte er nun beginnen, eine Oper zu komponieren. Einen Entwurf für ein Libretto zu einer Oper über den Ritter Bayard hatte er von Paul Heyse erhalten. Er sprach noch mehrmals in München mit dem Schriftsteller und mit Hermann Levi darüber. Aber schließlich widmete er sich in Tutzing einigen anderen Kompositionen und verwarf den Opernplan.
In Heidelberg war er mit der Schriftstellerin Henriette Feuerbach im Gespräch, ob sie ihm einen Operntext schreiben könnte. Henriette Feuerbach hatte ein geräumiges Haus in der Heidelberger Theaterstraße. Dort veranstaltete sie zahlreiche musikalische Salons, bei denen bedeutende Musiker zu Gast waren. Als Brahms im Sommer 1875 in Ziegelhausen weilte, war auch er mehrmals zu Besuch dort. In Feuerbachs Haus waren einige Werke ihres Stiefsohns, des Malers Anselm Feuerbach, ausgestellt. Brahms hielt viel auf seine Kunst und es verband beide eine Freundschaft. In Brahms Nachlaß schließlich fand man einen Operntext von Henriette Feuerbach. Eine Oper von Brahms wurde dennoch nie daraus.


Der aus Österreich stammende, in der Schweiz lebende Schriftsteller Joseph Viktor Widmann gehörte ebenfalls zum Freundeskreis von Brahms. Er hielt sich wiederholt in Heidelberg auf. Er war es, der eine Begebenheit um den legendären Pfarrer Schmezer aus Ziegelhausen, den flottesten Pfarrherr des Jahrhunderts, wie man ihn nannte, dem Schweizer Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer mitteilte, der die Geschichte als Grundlage für seine Novelle Der Schuß von der Kanzel nahm. Schmezer ging übrigens im Brahmsjahr 1875 in den Ruhestand, nachdem er seit 1840 Ziegelhäuser evangelischer Pfarrer war. Auch mit Widmann hatte Brahms über Opernvorhaben gesprochen. 1888 wandte sich Brahms nun endgültig davon ab und schrieb an Widmann, er werde „keine Oper und keine Heirat mehr versuchen“.
Widmann hat den Operntext Der Widerspänstigen Zähmung nach dem gleichnamigen Theaterstück von William Shakespeare geschrieben. Die Musik dazu schuf der Komponist Hermann Götz (1840 Königsberg, Ostpreußen – 1876 Hottingen ZH, Schweiz). Der Mannheimer Hofkapellmeister Ernst Frank und Brahms unterstützten den Komponisten. Uraufführung von Der Widerspänstigen Zähmung war am 11. Oktober 1874 im Nationaltheater Mannheim, in Anwesenheit des Komponisten und des Textdichters. Götz war schwer krank aus der Schweiz angereist und verfolgte die Vorstellung von einer Proszeniumsloge, also einer bühnennahen Loge aus, indem er dort auf einem Sofa liegen konnte. Ernst Frank dirigierte die Oper. Es folgten am 18. 10., 1. 11. und 20. 12. 1874 sowie am 17. 2., 2. 5. und 15. 8. 1875 weitere Aufführungen. Götz, das Nationaltheater und die Sängerin der Titelrolle, die Sopranistin Ottilie Ottiker, feierten große Erfolge mit der Oper. Johannes Brahms besuchte von Ziegelhausen aus die Aufführung am 15. August 1875. Sie dauerte von sechs bis neun Uhr. Brahms war mit dem Zug gefahren.

Eine Vorstellung davon, was Brahms zu sehen bekam, gibt eine Fotografie von 1874. Dritte von rechts ist die Sopranistin Ottilie Ottiker in der Rolle der Katharine, erste von links die Sopranistin Ida Auer-Herbeck als Bianca. An der Wand hängen Portraits von Brahms, links, und Ernst Frank.
Johannes Brahms erhielt in Ziegelhausen Besuch von „zwei allerliebsten Sängerinnen aus Mannheim“, nämlich den beiden genannten Opernsängerinen. Ottilie Ottiker und Ida Auer-Herbeck trugen mit Brahms am Klavier in Ziegelhausen und beim Klavierbauer Trau in Heidelberg die in Ziegelhausen frisch komponierten Duette für Sopran und Alt Op. 66 Nr. 3–5 vor.
- Externe Links zu den Liedern Op. 66: Nr. 3 Am Strande – Nr. 4 Jägerlied – Nr. 5 Hüt‘ du dich! (YouTube). Die Audiodateien öffnen sich auf einer neuen Seite. Die Liedtexte können hier ausgeklappt und mitgelesen werden:
Liedtexte
Am Strande
Es sprechen und blicken die Wellen
Mit sanfter Stimme,
Mit freundlichem Blick,
Und wiegen die träumende Seele
In ferne Tage zurück.
Aus fernen, verklungenen Tagen
Spricht’s heimlich
Mit sanften Stimmen zu mir.
Schaut’s heimlich
Mit freundlichen Blicken
Zum Wandrer am Strande hier.
Mir ist, als hätten die Stimmen
Die je die Seele
Mir sanft bewegt
Und alle die freundlichen Blicke
Sich in die Wellen gelegt.
Jägerlied
Jäger, was jagst du die Häselein?
Häselein jag’ ich, das muß so sein.
Jäger, was steht dir im Auge dein?
Tränen wohl sind es, das muß so sein.
Jäger, was hast du im Herzelein?
Liebe und Leiden, das muß so sein.
Jäger, wann holst du dein Liebchen heim?
Nimmer, ach nimmer, das muß so sein.
Hüt du dich!
Ich weiß ein Mäd’lein hübsch und fein,
hüt du dich!
Es kann wohl falsch und freundlich sein,
hüt du dich!
Vertrau ihr nicht, sie narret dich!
Sie hat zwei Äuglein, die sind braun,
hüt du dich!
Sie werden dich verliebt anschaun,
hüt du dich!
Vertrau ihr nicht, sie narret dich!
Sie hat ein licht goldfarb’nes Haar,
hüt du dich!
Und was sie red’t, das ist nicht wahr,
hüt du dich!
Vertrau ihr nicht, sie narret dich!
Sie hat zwei Brüstlein, die sind weiß,
hüt du dich!
Sie legt’s hervor mit allem Fleiß,
hüt du dich!
Vetrau ihr nicht, sie narret dich!
Sie gibt dir’n Kränzlein fein gemacht,
hüt du dich!
Für einen Narr’n wirst du gemacht,
hüt du dich!
Vetrau ihr nicht, sie narret dich!
Der Mannheimer Joseph Kinkel, der beide Sängerinnen in zahlreichen Aufführungen erlebt hatte, beschreibt in den Mannheimer Geschichtsblättern 1926 Ottilie Ottiker als liebenswürdige und stimmlich begabte, märchenhafte Sängerin. Sie war eine der Lieblinge der Mannheimer. Bei ihrem Evchen (Meistersinger) bot sie eine poesieumflossene Darstellung. Ida Auer-Herbeck schildert er als reizende, stimmlich und darstellerisch gleich vorzüglich begabte Sängerin.
Ida Auer-Herbeck (16. Februar 1851 Dijon, Frankreich – 16. August 1915 Toronto, Kanada), Sopranistin, war von 1874 bis mindestens 1879 am Nationaltheater Mannheim als Opernsängerin und auch als Bühnenschauspielerin engagiert, wo sie den Theatermaler und späteren Technischen Direktor des Nationaltheaters Oskar Auer (1851-1923) heiratete. Später war sie Hofopernsängerin in München, ab etwa 1888 Gesangslehrerin am Konservatorium in Mannheim, ab September 1897 (1896?) als Hochschullehrerin am Dresdener Königlichen Konservatorium, 1909/10 bis 1913/14 am Stern’schen Konservatorium der Musik in Berlin und ab 1914 an der Kanadischen Musikakademie in Toronto, Kanada. Sie veröffentlichte etwa 1910 in einem Berliner Verlag Gesangsübungen. Aus Rezensionen:
„Die Verfasserin bietet eine zwar etwas unmethodische, aber bei verständiger Anleitung gewiß mit Nutzen verwendbare Sammlung ziemlich schwieriger Übungen zur Erwerbung und Entwickelung der Kehlfertigkeit; sie sucht also eine Seite der Gesangskunst zu fordern, die heutzutage mit Unrecht etwas aus der Mode gekommen ist.“
„Vorliegende, hauptsächlich wohl für Frauenstimmen gedachte Uebungen sind dazu angetan, eine lang empfundene Lücke in der Unterrichtsliteratur auszufüllen. Sie bieten Lehrenden wie Lernenden eine Fülle von Anregungen, die – das gilt besonders von den sehr instruktiven praktischen Beispielen – zu selbständigem Weiterarbeiten ermuntern. Das Büchlein kann aufs wärmste empfohlen werden.“


Ottilie Ottiker (1847 Uster ZH, Schweiz – 16. April 1921 Zürich), Tochter eines Oberrichters, konnte dank Unterstützung durch ihre Eltern eine Gesangsausbildung in Genf und München absolvieren. Sie wirkte 1871 bis 1873 an der Hofoper in München, von 1873 bis zum 1. September 1879 am Mannheimer Nationaltheater. Bei einer Musikalischen Akademie im Theater am 30. Oktober 1873 traten Clara Schumann und Ottilie Ottiker als Solistinnen auf. Die Pianistin spielte unter anderem das Klavierkonzert a-Moll Op. 54 von Robert Schumann. Die Sopranistin interpretierte einige Lieder von Schumann, Brahms und Hauptmann. Ottilie Ottiker übernahm am 13. Februar 1875 in Mannheim bei der Uraufführung des Quartetts für Sopran, Alt, Tenor, Baß und Klavier Nr. 3, Fragen, aus Opus 64 von Brahms den Sopranpart. 1876 waren Johannes Brahms und Ottilie Ottiker im Saalbau in Neustadt an der Weinstraße auf der Bühne.
Am Nationaltheater Mannheim war Ottilie Ottiker als dramatische Sopranistin eine bevorzugte Sängerin:
- Nach der Hauptrolle in Der Widerspänstigen Zähmung 1874 und 1875 sang sie
- 1875 die Hauptrolle in der Oper Genoveva von Robert Schumann,
- vermutlich ebenfalls 1875 die Eva in der Oper Die Meistersinger von Nürnberg von Richard Wagner,
- 1877 die Hauptrolle in der Oper Franzeska von Rimini von Hermann Götz, Text von Hermann Götz und Joseph Viktor Widmann, Brahms war bei der Uraufführung anwesend,
- 1878 die Hauptrolle in der Oper Aschenbrödel von Ferdinand Langers und schließlich
- 1879 in den Opern Rheingold und Walküre von Richard Wagner (aus Der Ring des Nibelungen) die Freia und die Brünnhilde.
Der Mannheimer Hofkapellmeister Ernst Frank widmete ihr seine 12 Lieder, Op. 12, komponiert 1877.

Nach ihrer Mannheimer Zeit hatte sie am Stadttheater Köln und am Stadttheater Halle (heute Opernhaus Halle) weiterhin großen Erfolg. In Halle trat sie zum Beispiel 1888 in der Rolle der Senta in der Oper Der Fliegende Holländer von Richard Wagner auf. Von Köln und Halle aus kehrte sie mehrfach zu Gastspielen ans Mannheimer Nationaltheater zurück, um dort bei Der Widerspänstigen Zähmung immer wieder die Hauptrolle zu singen (bis mindestens 1890). Weitere Orte, an denen sie als Sopranistin tätig war, wohl vor allem in Form von Konzerten und Gastspielen, sind – alphabetisch – Berlin, Frankfurt am Main, Hannover, Karlsruhe, München, Rotterdam und in ihrer Heimat Zürich, wo sie zwischen 1877 und 1896 zu Gastspielen auftrat. Es wird erwähnt, daß sie irgendwo als Musikalische Leiterin tätig gewesen sein soll, ohne daß dies bisher durch Recherchen genauer geklärt werden konnte. In den 90er Jahren zog sie sich von der Bühne zurück und wirkte in Zürich als angesehene Gesangspädagogin.
Wie gut sich Ottiker und Brahms nicht nur musikalisch sondern auch freundschaftlich verstanden, zeigt eine Widmung, die die Sängerin dem Komponisten auf eine Portraitkarte von sich schrieb: „Dem liebenswertesten aller Wetterherrgöttle. Zur Erinnerung an den Sommer 1875 und an Ottilie Ottiker.“ Wie Brahms blieb auch sie ungebunden und unverheiratet.

Zum Weiterlesen
Harald Pfeiffer, Johannes Brahms in Heidelberg und Ziegelhausen, 2008 (Stadtbücherei und UB HD)
Badische Landesbibliothek (Hrsg.), Johannes Brahms in Baden-Baden und Karlsruhe, Eine Ausstellung der Badischen Landesbibliotek Karlsruhe und der Brahmsgesellschaft Baden-Baden e. V., 1983
Hermann Götz bei Wikipedia
Hermann Goetz und Brahms und weiteres zu Goetz beim Brahm-Institut Lübeck
Bruno Weigl-Brünn, Hermann Gustav Goetz, Zur Erinnerung an seinen 30jährigen Todestag, in: Die Musik, Jahrgang 6, 1. Quartal, Band 21, 1906/1907, S. 217–226; Digitalisat (Permalink) bei Archive.org
Hermann Goetz – Der Widerspänstigen Zähmung bei Musikproduktion Höflich
Der Widerspänstigen Zähmung (Hermann Goetz) bei The Opera Scribe – englisch
Joseph Victor Widmann bei Wikipedia
Henriette Feuerbach bei Wikipedia
Anselm Feuerbach bei Wikipedia
Ernst Frank bei Wikipedia
Christoph Schmezer bei Wikipedia
Pfarrer Schmezer bei Neckarundsteinbach, Ziegelhausen
Julius Allgeyer bei Wikipedia
Hermann Levi bei Wikipedia
Fritz Auer (*1878), Schriftsteller, Sohn von Ida Auer-Herbeck bei Wikipedia
Zum Weiterhören
Hermann Götz, Der Widerspänstigen Zäumung:
– Ouvertüre (Youtube, 5:58 Min.)
– Die Kraft versagt, Arie der Katharine (Youtube, 6:27 Min.)
Quellen
Theaterzettel und weitere Informationen im Marchivum Mannheim
Ekkehard Schulz, Brahms‘ Karlsruher Freundes- und Bekanntenkreis, in: Badische Landesbibliothek (Hrsg.), Johannes Brahms in Baden-Baden und Karlsruhe, Eine Ausstellung der Badischen Landesbibliotek Karlsruhe und der Brahmsgesellschaft Baden-Baden e. V., 1983, 35–57
Frithjof Haas, Johannes Brahms und Hermann Levi, ebenda 58-82
Emma Steiger, Frauenarbeit in Musik, Theater, Tanz, Schaustellungen, Film, Radio, Fernsehen, in: Zürcher statistische Nachrichten 37, 1960, 103-158, 109 u. 122
Anton Pichler (Großh. Hoftheater-Regisseur), Chronik des Großherzoglichen Hof- und National-Theaters in Mannheim, Zur Feier seines hundertjährigen Bestehens am 7. October 1879, Mannheim 1879
Musikalien, 206. Ida Auer-Herbeck : Gesangsübungen, in: Die Musik, Jahrgang 9, 4. Quartal, Band 36, 1909-1910, 181f
Auer-Herbeck, Gesangsübungen, in: Allgemeine Musik-Zeitung, Band 38, 1911, 768
Joseph Kinkel, Erinnerungen eines Alt⸗Mannheimers aus den 1860er und 1870er Jahren, 7. Das Mannheimer Theater, in: Mannheimer Geschichtsblätter 1926, Spalte 89–95, 93
Karl-Josef Kutsch, Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, Bd. 33
Antje Kalcher, Dietmar Schenk, Vor der UdK, Die Lehrenden an den Vorgängerinstitutionen der Universität der Künste Berlin – ein Katalog, Schriften aus dem Archiv der UdK Berlin, Band 17, Berlin 2024, 342
Mannheim und sein Nationaltheater, Menschen – Geschichte(n) – Perspektiven, Mannheim 1998
The Canadian Academy of Music, in: Musical Canada, Monthly Jorunal of Musical News, Comment and Gossip, for Professionals and Amateurs, Vol. IX, No. 6, Oktober 1914, S. 149
Neue Musik Zeitung, 37. Jg 1916, S. 45, 123 u. 386 (Tod von Auer-Herbeck)
Ottiker, Ottilie, in: Bayerisches Musiker-Lexikon Online, Universität München
Christian Lange, Brahms in Tutzing, Tutzinger Brahmstage (.de)
Florian Hauser, Egozentrik als Schutzhaltung? (Was heute geschah, 7. Januar 1888), BR Klassik 2022
Beitrag ergänzt bis 28. August 2025